Respirer – Expirer. Ein Reisebericht in 4 Kapiteln
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Reisebericht in 4 Kapiteln
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Füße auf Asphalt, vorbei am Jägerstand in nassem Gras, über die
Absperrung zur Autobahnraststätte. Die Zeit liegt vor uns. Wir
stehen am Anfang. Und an der Straße. Welche Rolle spielt der Zaun?
Erst mal keine. Die Möglichkeiten liegen zwischen vielfältig und
unvorstellbar.
Reaktion
Zwei
Daumen raus auf die Straße, Anne als Rückenstärkung hinter mir.
Ich muss mich nicht umdrehen um zu wissen, dass sie lacht. Die Autos
fahren vorbei, wir strahlen, fast wie von allein. Einige zucken mit
den Schultern, manche schütteln den Kopf, andere grinsen. Über
diese Reaktionen muss ich richtig lachen, das überträgt sich auf
die folgenden Autofahrer, die an uns vorbei fahren. Der Drang nach
dem Ungewissen, dem Weiterkommen und unsere Freude an der
Herausforderung, sind nicht zu verbergen. Diese Freude wird
unmittelbar aufgegriffen, übertragen. Ein Geben und Nehmen in
rasantem Tempo. Mit den zunehmend austrocknenden Lippen wird das
Lachen schwieriger. Risse entstehen. Gelacht wird trotzdem. Ein
bisschen schief aber. Es ist deutlich zu spüren, dass der ganze
Körper reagiert. Er passt sich an, stellt sich auf immer neue
Menschen und neue Umgebungen ein. Im Dauerlauf; mit wenigen
Verschnaufpausen.
Wie
Verhalten sich die Menschen nachdem sie unser Anliegen gehört haben?
Alle, die wir damit konfrontieren, werden auf irgendeine Weise
reagieren müssen. Einatmen – ausatmen. Aktion – Reaktion.
Und
immer weiter nach Süden. Die Rapsfelder blühen schon.
Vertrauen
Traust
du dich? Traust du mir?
Zählen
in Autostunden, Gesprächsverläufen, persönlichen Geschichten und der
Erholsamkeit des Schlafs. Welche Währung zählt? Eine Autofahrt für
ein Gespräch und ein Stück Käse dazu. Ein Schlafplatz für Nichts.
Selbstverständlichkeit im Geben. Ein Vertrauen darin,
dass die mit der Gabe bedachte Person diese weitergibt. Wenn auch
nicht in der Unmittelbarkeit der Sache, doch in der Bewahrung der
Geste. Damit bekommen wir Verantwortung übergeben.
Wenn
wir wollen, können wir uns abschotten, Türen schließen, Zäune
hochziehen, Kühlschrankfächer einteilen und im eigenen Auto nichts
essen, damit wir keine Fettflecken machen, wodurch sich der Wert
verringern würde – für den Fall eines Weiterverkaufs. Wir können
uns absichern, versichern, auf Sicherheit setzen und stets gut
netzwerken – für Später. Risiken minimieren, einen Teil für uns
allein zurückhalten, Eigentum beanspruchen, Besitz horten, daran
festhalten, verwalten, abschalten. Goldfische halten.
Totale
Kontrolle vs. Vertrauen. Vertrauen in sich, in die Mitmenschen, in
einen größeren Sinnzusammenhang. Ohne Vertrauen also keine Gabe?
Maintenant
Was
ist der nächste Schritt? Wir in Aktion, wachsam, den Schwerpunkt
nach vorne verlagert und jederzeit bereit für den Sprung. Nach
Gerade kommt Jetzt. Präsent. Ganz im Moment. Im Alltag bedarf es
viel Konzentration und des passenden Umfelds, um nicht gedanklich in
Vergangenes oder Zuküntiges abzuschweifen. In der Ausnahmesituation
unserer Reise melden sich plötzlich Grundbedürfnisse, drängen sich
in den Vordergrund. Um diese zu stillen tritt ein Automatismus in
Kraft, der allen Raum einnimmt. Die Zukunft ist ungewiss,
verheißungsvoll und in versetzt in Spannung. Da man aber nicht weiß,
was passieren wird, kann man sich nicht darauf einstellen. Daraus
generiert sich eine enorme Freiheit.
Stein
für Stein für Stein für Stein. Angekommen in Maisod. Die Eule
schreit, Gundermann verbreitet ein Gefühl von Taubheit im Rachen,
das Wasser schnürt mir die Luft ab, lebendig im künstlichen Stausee
mit halbem Wasserstand. In der Badewanne saugen sich kleine Krebse
die Wand entlang, adroit - agauche ist dem links rechts überlegen
und nach dem Hin-und Herwenden des Zusammenhangs zwischen rechter
Hand und Narbe war vielleicht gerade dort das Links. Eine neue
Sprache eröffnet neue Bilder, bildet andere Verknüpfungen.
Blätterdach im Wald wie eine Höhle und ein zu Hause, aber das
funktioniert nur, wenn es davor nicht geregnet hat. Unser
Schneckenhaus bleibt dicht. Esel haben den Drang sich im Feuer zu
wälzen, weshalb man einen Zaun aufstellen muss. Tagsüber und auch
danach krabbeln die Zecken den Grashalm hinauf und beißen sich in
die samtige Eselsschnauze. Um 10 Uhr steht die Sonne so, dass sie
direkt ins Gesicht scheint. Kein Tag ohne Bärlauch. Und beim
Gedanken an frische Kuhmilch wird mir schlecht.
Bruno
Das
Fenster des Bauernhauses öffnet sich und zögerlich schaut ein Mann
heraus. Vielleicht will er lieber allein gelassen werden. Er bekommt
sofort die ganze Portion aller Details: Wir essen auch Kartoffeln.
Daraufhin kündigt er an, er müsse sich zurück ziehen. Wir warten,
stehen auf diesem fremden Hof wie Eindringlinge. Bruno kommt herunter
und wir setzen uns aufs Gras, lernen uns kennen.
Daraus
entsteht eine Freundschaft, ein sensibler Mann kommt zum Vorschein.
Jemand, der viel allein zu sein scheint. Er zeigt uns sein Reich
zwischen Kuhweiden und dem sich schlängelnden Lac du Vouglan. Wir
lernen uns immer besser kennen. Am Ende strahlt Bruno, wir haben viel
Zeit gemeinsam verbracht. Er hat sich auf uns eingelassen, wir
durften seine Gäste sein und bei der Arbeit unterstützen. Eine
Begegnung die ganz ehrlich von statten geht. Jeder kann so sein wie
er ist. Konventionelle Formen der Höflichkeit haben sich erst gar
nicht etabliert. Keine falsche Scheu oder Zurückhaltung. Anerkennen,
was gegeben wird. Und mit Freude annehmen.
Welche
Rolle spielt der Zaun? Der Gartenzaun vom ersten Tag in
Sachsen-Anhalt ist am letzten Tag in Maisod wiedergekehrt. Wie ein
Geschenk. Er ist in seiner Form aufgebrochen und weist in ganz viele
Richtungen, in die es zukünftig gehen kann. Er wurde durchlässig.
Da wir auf einmal das Geld entbehren mussten, das uns eine
vermeintliche Freiheit sowie Handlungsspielraum verschafft,
verschwanden die Begrenzungen. Die Distanz, mit der man für üblich
fremden Menschen begegnet, verringerte sich auf ein Minimum.